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Das durchbohrte Herz Jesu -- Grund meiner Hoffnung

"Wer bin ich? Für wen halten mich die anderen?" -- Ob wir angesehen oder Übersehen, beachtet oder verachtet, bekannt oder fremd sind, davon hängt viel ab. Das kann uns aufrichten oder vernichten. Ich stehe anders im Leben, wenn mir jemand vertraut, und ich leide darunter, wenn mir jemand misstraut. Es ist nicht gleichgültig, ob mich jemand liebt oder hasst, ob er mir aus dem Weg geht oder herzlich begegnet. Wenn einer sagt: "Mir ist egal, was die anderen von mir halten!", dann glaube ich ihm das nicht so recht.

Auch Christus fragt heute im Evangelium seine Jünger; "Für wen halten mich die Leute?" Die Jünger antworten ihm: "Die einen für Johannes den Täufer, andere für Elija; wieder andere für einen der alten Propheten."

"Und ihr, für wen haltet ihr mich?", fragt Jesus weiter. Und Petrus antwortet: "Du bist der Messias!"

Für die Apostel und für die Juden versteckte sich hinter dieser Bezeichnung der Wunsch: Der Messias wird uns von den Römern befreien und alle Sorgen und Nöte beseitigen. Aber dieses Bild rückt Jesus zurecht und ergänzt es.

Er erinnert seine Jünger an die andere Überlieferung einiger Propheten: Der Messias ist einer, der "durchbohrt" wird, der "vieles erleiden muss", der "getötet wird, aber am dritten Tag aufersteht" und der Frieden stiftet zwischen den Menschen. Einem solchen Messias nachzufolgen, ist etwas völlig anderes, als politischen Siegesfantasien und messianischen Ehren nachzuhängen. Es heißt viel-mehr, "sein Kreuz auf sich nehmen

Der heilige Johannes der Täufer ist diesen Kreuzweg gegangen. Sein Zeugnis für den kommenden Erlöser endete mit Kerkerhaft und Enthauptung. Für jemand, der den Weg Jesu Christi nachgeht, gehört das zusammen: Nämlich bereit sein, das Schwere und Dunkle des Lebens, das Kreuz, auszuhalten und es mit Christus zu tragen. Er ". . . muss das ganze Christusleben durchleben.

Er muss . . . einmal den Kreuzweg antreten nach Gethsemane und Golgotha" so formulierte es Edith Stein.

Ich weiß, liebe Mitchristen: Das ist leichter gesagt als getan. Mir fällt das gerade mit den Jahren immer mehr auf. In der Jugend ist vieles kein Problem: Das schaffe ich. Mit 40, 50 und mehr Jahren merkt man dann aber, dass vieles halt doch nicht gelingt, dass dies und jenes nicht mehr geht und man nicht mehr so gefragt ist.

Darüber sind viele älter werdende Menschen enttäuscht. Sie werden traurig und bitter, weil sie manches aus der Hand geben müssen, was sie nicht vollenden oder gar nicht richtig anfangen konnten. Sie spüren: Vieles ist nicht mehr zum Zuge gekommen, weil mir eben die Kraft fehlte oder weil die Umwelt es nicht gefordert oder sogar unterdrückt hat: Schönes ist auf der Strecke geblieben, was ich nicht verwirklichen konnte.

Was hilft und trägt in dieser Situation? Mir ist vor allem eines wichtig geworden: das Schauen auf den Christus am Kreuz. Sein gebrochenes Herz ist die Quelle meines Glaubens, der Grund meiner Hoffnung, die Ursache meiner Liebe.

Christus hat alles Leid durchlitten, alle Angst erlebt, alle Einsamkeit erduldet, alle Verlassenheit gefühlt, alle Todesnot hinausgeschrien. Er kennt den Schmerz und versteht alle Verzweifelten.

Die Menschen aller Zeiten dürfen auf ihn schauen. Wer auf Christus schaut, darf erfahren: Er trägt sie alle, verlassene Kinder, Ehegatten, die einander verstoßen haben, zerrüttete Familien, Heimatlose, Gefangene und die Tausende und Millionen, die ungeliebt, vergessen und im Sterben alleingelassen sind. Er sieht ihre armen Körper, ihre verzweifelten Gesichter, ihren ängstlichen Blick. -Alle Menschen gestern, heute und morgen können zu ihm ausschauen und ihre eigene Angst und Todesnot an seinem Kreuz sehen.

Und sie dürfen über das Kreuz hinausschauen. Christus am Kreuz ist auferstanden. Er hat allen eine Perspektive über den Tod hinaus eröffnet.

Aus der Perspektive von Ostern lässt sich verstehen, wenn er sagt: "Wer sein Leben retten will, wird es verlieren. Wer aber sein Leben um meinetwillen verliert, der wird es retten." Ein paradoxes Wort. Aber im Licht von Ostern wird klar: Nicht wer das Leben und das eigene Ich krampfhaft festhält, wird gerettet, sondern wer sich selbst hingibt, hineingibt in seine Hände. Alles, was wir durch Krankheit, durch Leid, durch Behinderung, durch mangelnde Begabung, durch eine feindliche Umwelt nicht verwirklichen konnten, wird in der Auferstehung zu seiner vollen Entfaltung gelangen. Alles wird enthüllt werden, was durch den Geist Gottes in uns an Gutem angelegt ist.

Alle großen Gestalten, die Christus nachgefolgt sind, haben erfahren: "Nur wer sein Leben verliert, wird es gewinnen", wird am Leben in Fülle teilhaben.

Zum Christsein gehört der Mut zum Mitleiden, durch das die Welt verwandelt wird. Deshalb führt auch nicht die Verdrängung des Kreuzes, sondern das bereitwillige Leiden hinauf in die Gemeinschaft mit Gott, in die Auferstehung, in das ewige Ostern. Oder wie es Ludwig van Beethoven ausgedrückt har: "Die Kreuze im Leben des Menschen sind wie die Kreuze in der Musik: sie erhöhen."

Ja, wer mit Jesus täglich sein Kreuz auf sich nimmt und so ihm nachfolgt, der wird erhöht werden, der wird sein Leben retten.

                        Predigt von Erzbischof em. Dr. Karl Braun am 24.6.2001

                        (Herbstlese, Bd. 1, S. 27 – 29)